Antonia Böckmann – Projekt- und Kommunikationsmanagerin Sports for Future
Sport verbindet Milliarden Menschen und bildet eine Einheit mit der Natur: Sei es beim Joggen in der Natur, beim Rudern auf dem Wasser oder beim Skispringen in der Luft. Nicht zuletzt beruht der Sport auf den natürlichen Fähigkeiten eines jeden von uns. Daher sollte der Sport selbstverständlich zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen beitragen, da er als Massenbewegung maßgeblich zur Klimakrise beiträgt. Besonders der Wintersport in seiner Reichweite steht im Spannungsfeld zwischen Opfer und Täter. Diese Situation bietet die einzigartige Chance, der Vorbildrolle und Reichweite des Wintersports gerecht zu werden. Er muss traditionelle Praktiken überdenken und nachhaltige Maßnahmen ergreifen, um eine Schlüsselrolle in der globalen Nachhaltigkeitsagenda spielen zu können und Visionen einer Welt zu fördern, in der alle 17 SDGs umgesetzt sind.
Wir erleben einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel. Dabei dreht sich alles um die zentrale Frage: Wie sieht unsere Zukunft aus? Die Klimakrise ist kein temporäres und kein politisches Thema. Die Klimakrise ist eine der drängendsten gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Und sie betrifft uns alle. Sie ist ein existenzielles Problem und hat bereits zu erheblichen Veränderungen in verschiedenen Ökosystemen geführt. Extremwetterereignisse haben aufgrund des anthropogenen Klimawandels in Frequenz und Ausmaß zugenommen: Überschwemmungen in Kalifornien, Dürre in Argentinien, Stürme in Europa, Brände in Chile – alles Ereignisse aus dem Jahr 2023 (Norddeutscher Rundfunk 2023: o.S.).
Auch der Sport als System mit einer großen emotionalen und bedeutenden Rolle in der Mitte der Gesellschaft, kann sich vor den Herausforderungen der Klimakrise nicht mehr verstecken. Sowohl die direkten Folgen des Klimawandels, die primär durch Temperatur- und andere Wetterextreme verursacht werden, als auch die indirekten Folgen als Resultat aus klimabedingt veränderten Ökosystemen wirken sich auf Sportlerinnen, Sportler, Zuschauerinnen und Zuschauer aus. Höhere Außentemperaturen belasten grundsätzlich das Herz-Kreislauf-, das Atmungssystem und den Stoffwechsel, sodass Athletinnen und Athleten, die unter Hitze Sport treiben, gesundheitsgefährdetem Hitzestress ausgesetzt sind. Stürme, Felsstürze, Gletscherspalten, Lawinen, Hochwasser, veränderte Pegel und Fließgeschwindigkeiten in Gewässern bedrohen das risikofreie Ausüben sowie Zuschauen von Outdoorsport. Auch die indirekten Effekte der Klimakrise, wie die Verlängerung der Pollensaison und die Ausbreitung Vektor-assoziierter Erkrankungen, beeinträchtigen Leistung und Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler, was durch die Ausübung des Sports im Freien noch verschlimmert wird (Schneider, Eichinger 2022: S. 156 ff). Folglich werden sich Absagen von Sportveranstaltungen in Zukunft häufen, um Sportlerinnen, Sportler, Zuschauerinnen und Zuschauer zu schützen – aber auch, weil die Voraussetzungen für das Ausüben des Sports einfach nicht mehr überall gegeben sind und so das Durchführen einer Sportveranstaltung mitunter unmöglich wird.
Insbesondere der Wintersportsektor ist stark von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen. Wintersport ist ein integraler Bestandteil vieler Gesellschaften und Kulturen weltweit. 9,2% der Bevölkerung in Europa sind aktive Skifahrer*innen, das sind insgesamt 48,2 Millionen Menschen. 158 Millionen Skifahrertage werden jährlich in den Alpen erfasst. Skifahren ist eine der beliebtesten Sportarten. Weitere Millionen fahren Snowboard und Skilanglauf. Auch für den Wirtschaftssektor der Alpenregionen spielt der Wintersport und der dazugehörige Wintersporttourismus eine existenzielle Rolle. Die Destinationen sind im hohen Maße vom Wintersporttourismus abhängig, da sie oft mehr als zwei Drittel der touristischen Wertschöpfung aus dem Wintertourismus generieren. Dadurch entstehen Arbeitsplätze und Einkommen (Roth, Siller 2016: S. 4ff).
Allerdings sind die Winter in den Alpen milder geworden: Die Jahresmitteltemperatur ist in den bayerischen Alpenregionen innerhalb der vergangenen 60 Jahre um 1,5 Grad Celsius gestiegen. Die Anzahl der Frosttage pro Jahr, an denen die Temperatur 0 Grad Celsius nicht überschreitet, verringerte sich um elf Tage (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz 2022: o.S.). Die Lufttemperatur wird in den alpinen Regionen bis 2100 um ca. 2 Grad Celsius ansteigen, was zur Folge hat, dass die Winter in den nächsten Jahren noch kürzer und noch wärmer werden.
Die Lage der grundlegenden Rahmenbedingungen für den Wintersport wie Temperatur, Niederschlag und Schneedeckendauer können nicht vorhergesagt werden (Roth, Siller 2016: S. 7). Klar ist: Bis 2050 muss mit einem Rückgang der mittleren Schneehöhe zwischen etwa 30 bis 50 Prozent in tieferen Lagen (1.200 Meter) und fünf bis zehn Prozent in hohen Lagen (3.000 Meter) gerechnet werden.
Viele Gletscher werden in den nächsten Jahrzehnten komplett verschwinden. Und da der Schnee das zentrale Gut für Winterreisen in den Alpen darstellt, ist dieser Sektor besonders von den Auswirkungen der Klimakrise und der Erderwärmung gefährdet. Die Verkürzung der Wintersaison, unvorhersehbare Wetterereignisse und der Rückgang der Schneegrenze stellen nicht nur eine Bedrohung für die Wintersportindustrie dar, sondern bedrohen auch die wirtschaftliche Existenz vieler Gemeinden, die vom Tourismus abhängig sind (Gobiet 2018: 96).
Jedoch ist der Wintersport nicht nur in der Opferrolle. Er ist zugleich auch verursachender „Täter“. Um dem Rückgang des Schnees entgegenzuwirken, die Abnahme der Schneeverfügbarkeit zu kompensieren und somit den Wintersport in den touristischen Gebieten zu sichern, kommt es vorrangig zum Einsatz von künstlicher Beschneiung.
Allerdings ist die Produktion von Kunstschnee mit einem sehr hohen Wasserverbrauch verbunden (Prof. Dr. de Jong 2017: 219). In den Alpen sind derzeit mehr als 80.000 Schneekanonen in Betrieb und beschneien knapp 100.000 Hektar Skipisten. Dabei haben die Schneekanonen in Südtirol in den Wintern von 2007 bis 2016 pro Saison zwischen fünf und zehn Milliarden Liter Wasser verbraucht, was sechs bis zwölf Prozent des jährlichen Trinkwasserverbrauchs in Südtirol entspricht. Auch der Energieverbrauch ist enorm: Gemeinsam mit den Aufstiegsanlagen wurden 90 bis 170 Millionen kWh Strom verbraucht (Matiu 2020: 6). Weitere negative Auswirkungen der Schneekanonen sind neben der Lärmemissionen, die einen Störfaktor für wildlebende Tiere darstellen, auch die Gefahr der Trinkwasserkontamination, da durch Schneekanonen koloniebildende Mikroorganismen und Pilze verbreitet werden können. Auch der Verlust ökologisch wertvoller Feuchtgebiete durch die hydrologischen Folgen und das Einbüßen visueller Attraktivität durch großflächige Rodung für die Installation von Kühltürmen, Pumpstationen und Schneelanzen spielen eine bedeutende Rolle (Prof. Dr. de Jong 2017: 220 ff.).
Auch die negativen Auswirkungen des motorisierten Individualverkehrs im Alpenraum sind von großer Bedeutung. Landschaftseingriffe, Kapazitätsengpässe, Lärm- und Luftbelastung sowie die sinkende Aufenthalts- und Lebensqualität folgen aus der erhöhten Mobilität und beeinflussen Klima und Wintersportregionen in negativen Ausmaßen. Dabei sorgt der An- und Abreiseverkehr für mehr als die Hälfte der mit einem Wintersportort verbundenen Treibhausgasemissionen (Hellmund 2021: 10). Das liegt daran, dass es vielen Destinationen an Lösungen bezüglich der Mobilität zwischen Bahnhöfen und Unterkünften mangelt und die entlegenen Bergregionen oft schlecht erreichbar sind. Auch Tagestouren in die Berge sind ausschlaggebend. Aus diesem Grund scheint es schwierig, den Individualverkehr zu reduzieren, wobei knapp 5% der gesamten deutschen jährlichen CO2-Emissionen allein auf die Anreise in den Winterurlaub entfallen (Kernatsch 2016: 41).
Nicht zu vergessen sind zudem die Lift- und Seilbahnanlagen mit ihrem hohen Energieaufwand sowie sämtliche Hotel- und Gastronomiebetriebe mit dem Verbrauch fossiler Energien (Roth, Siller 2016: S. 7).
Um den Fortbestand des Wintersports und die Erhaltung der alpinen Ökosysteme zu gewährleisten, muss der Wintersportsektor seine traditionellen Praktiken überdenken. Dazu gehört auch der traditionelle Weltcup-Saisonkalender, der bereits Ende Oktober mit dem Rennen am Rettenbachgletscher in Sölden beginnt. Seit 30 Jahren findet der Ski-Weltcup-Auftakt im Ötztal in Österreich statt und gilt als internationaler Startschuss für die Wintersportsaison. Im Jahr 2023 wurden allerdings zwei Wochen vor dem Rennen, welches von 30.000 Zuschauenden besucht wurde, Temperaturen von 20 Grad gemessen. Die Kritik an der Terminierung und die Aufforderung der Verlegung des Auftakts in den November oder Dezember wird dementsprechend immer lauter. Mit natürlichem Schnee wäre die Präparierung der Pisten deutlich einfacher und Bauarbeiten am Gletscher könnten reduziert werden. 2023 beinhalteten diese Eingriffe Abtragungen und sogar Sprengungen von Gletscherflächen, die grundsätzlich vom Naturschutzgesetz geschützt sind, aufgrund einer Ausnahmeregelung für Sölden aber trotzdem bearbeitet werden können (Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) 2023).
Es ist unerlässlich, dass Skigebiete und Tourismusorganisationen verstärkt in umweltfreundliche Technologien investieren und sich für nachhaltige Betriebspraktiken einsetzen. So ist eine ganzheitliche Politik zur Erhaltung und zum Schutz der Alpen notwendig, welche die umsichtige und nachhaltige Nutzung von Ressourcen in den Vordergrund stellt. Neben der Sicherstellung der Lebensgrundlagen der ansässigen Bevölkerung, der Vermeidung von Übernutzung sowie dem Erhalt und der Wiederherstellung natürlicher Lebensräume, muss auch die Verminderung von Schadstoffbelastungen in der Luft, im Boden und im Wasser einen hohen Stellenwert genießen (Kernatsch 2016: 38).
Weiterhin sind eine natur- und landschaftsschonende sowie umweltverträgliche Erzeugung, Verteilung und Nutzung der Energie durchzusetzen und energieeinsparende Maßnahmen zu fördern. Das beinhaltet die Verminderung der künstlichen Beschneiung sowie die vermehrte Produktion und Verwendung erneuerbarer Energien von Lift- und Seilbahnunternehmen, Hotel- und Gastronomiebetrieben (Kernatsch 2016: 42f.).
Auch die Einschränkung umweltschädigender Aktivitäten, die touristische und Freizeitaktivitäten mit den ökologischen und sozialen Erfordernissen in Einklang bringen, müssen umgesetzt werden. Eine konsequent nachhaltige Angebots- und Produktentwicklung, genauso wie eine zunehmende Risikostreuung über ergänzende Angebote, die wenig mit Schnee zu tun haben, sind für einen zukunftsfähigen Wirtschaftssektor unabdingbar (Roth, Siller 2016: S. 10).
Der Sport vereint Milliarden Menschen: Aktive und Fans, Amateure und Profis, Groß und Klein. Sport und Natur gehören zusammen. Nicht zuletzt beruht der Sport auf den natürlichen Fähigkeiten eines jeden von uns. Für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen einzustehen, ist deshalb ein Selbstverständnis des Sports – auch und gerade, weil der Sport als Massenbewegung ein Teil des Systems ist, das die Klimakrise mit verursacht.
Der Wintersport hat somit die Gelegenheit, seinem großen Einfluss und seiner Vorbildfunktion als bedeutender Gesellschafts- und Wirtschaftsakteur gerecht zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig: Wir müssen aktiv werden. Der Wintersport ist prädestiniert dafür, um zu adressieren, was wir verändern müssen und dass es gesellschaftsrelevant ist, etwas zu verändern. Durch die Umsetzung und das Vorantreiben innovativer und umweltfreundlicher Technologien und Praktiken kann der Wintersportsektor in die progressive Rolle gehen und ein Wegweiser bei der Realisierung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen sein. Mittels Maßnahmen zur CO2-Reduzierung, zur nachhaltigen Ressourcennutzung und zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Umweltfragen kann der Sport im Allgemeinen, und explizit der Wintersport mit gutem Beispiel vorangehen und Zukunftsbilder von einer (Sport-)Welt kreieren, in der alle 17 SDGs umgesetzt sind.
Dabei ist es entscheidend, dass der Wintersport nicht nur seinen CO2-Fußabdruck verringert, sondern eben auch seinen Handabdruck vergrößert. Im Gegensatz zum CO2¬-Fußabdruck stehen beim CO2-Handabdruck nicht die verursachten Treibhausgasemissionen im Vordergrund, sondern die positiven Auswirkungen und Nachhaltigkeitseffekte auf die Umwelt sowie der soziale und ökonomische Mehrwert (Brugger 2023: 2). Der Wintersport steht an einem Wendepunkt und muss dringend seine Herangehensweise überdenken. Dafür muss er im ersten Schritt begreifen, dass es altmodisch und nicht mehr zeitgemäß ist, an Terminkalendern und Traditionen festzuhalten. Diese Handlungen können nicht mehr isoliert betrachtet werden, da sie einen erheblichen Einfluss auf die Umwelt und Gesellschaft haben. Beispielsweise wäre eine Verschiebung des Weltcup-Auftaktes ein ausdrückliches Zeichen, dass Klimaschutzmaßnahmen ernst genommen und Ausnahmeregelungen hinsichtlich des Gletscherschutzes heutzutage nicht mehr gerechtfertigt werden können. Mit der Terminverschiebung nach hinten würden Gletscherarbeiten minimiert und die Erschließung anderer und weiterer Gletscherregionen wäre noch deutlich unberechtigter (Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) 2023).
Der Sport muss sich schnellstmöglich bewusstwerden, was zu tun ist, um die 17 SDGs zu erfüllen, was es bedarf, um zu den Zielvorstellungen zu gelangen und wie diese Lücke geschlossen werden kann und wie er dabei gesellschaftsfähig bleiben und seine eigene Zukunft sicherstellen kann. Insgesamt kann er so auch eine Schlüsselrolle bei der Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele übernehmen. Über den Sport können diese Zukunftsvisionen transportiert und in andere Gesellschaftsbereiche übertragen werden. Der Wintersport, der aus aktuellem Anlass ohnehin in der Kritik steht und heutzutage schon mit den Klimafolgeschäden konfrontiert wird, hat die Möglichkeit, die Vorreiterrolle zu übernehmen und einen Sport aufzubauen, der alle SDGs erfüllt.
Kontakt: antonia@sportsforfuture.de
Die ganze Ausgabe 01/2024 „swissfuture – Wintersport“ findet ihr hier.